"Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen."
Liebe Gemeinde,
ein Jesuswort ist uns als biblisches Motto für dieses neue Jahr 2022 gegeben. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“, sagt Jesus.
Ein Bibelwort, das uns durch dieses Neue Jahr begleiten soll und das bestimmt auf Anhieb viele Assoziationen in uns weckt.
Ich habe dabei als erstes daran gedacht, dass über Weihnachten in den meisten Haushalten die große Familie beisammen war. Die erwachsenen Kinder sind mal wieder zu Besuch und auch wenn sie schon lange auf eigenen Beinen stehen: Jetzt an Heiligabend oder über Weihnachten dürfen sie mal wieder Kinder sein und sich zu Hause mal wieder so richtig wohlfühlen, bekocht werden und verwöhnt werden.
Wir hatten über Weihnachten unser jüngstes Enkelkind mit den Eltern zu Gast, es ist gerade ein Jahr geworden. Es krabbelt munter durch die Gegend, ist wenig ängstlich und lässt sich von jedem auf den Arm nehmen und lacht gern. Doch der kleine Frohsinn beobachtet ganz genau, ob Mama oder Papa in der Nähe sind und ab und zu krabbelt der Kleine ganz zielbewusst auf einen der beiden zu, lässt sich in den Arm nehmen, schmust ein wenig, hat sich versichert, dass Mama oder Papa da ist, um dann wieder die Welt zu erkunden.
Das ist das erste, das mir einfällt, bei dem Jesuswort für 2022: Menschen brauchen so etwas wie einen sicheren Hafen, wo sie hingehen können und wissen können, hier bin ich angenommen, hier kann ich jederzeit hinkommen, hier bin ich zu Hause, hier bin ich geliebt, hier bin ich vertraut, hier werde ich nicht zurückgewiesen.
In einer Eltern-Kind Beziehung kann das ein Leben lang so sein, auch in einer guten Partnerschaft oder auch bei langjährigen Freunden.
Für Manche kann das auch der Verein sein, oder die Kirchengemeinde oder eine andere Gemeinschaft, in der ich mich wohlfühle und wo ich immer wieder gern hingehe.
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“ war, so kann man sagen, das Lebensmotto Jesu. Er hat diesen Satz, wo immer es ging, gelebt und in seinen Gleichnissen ausgelegt. Darüber berichten die Evangelien. Da ist der vom Aussatz befallene, der zur Zeit Jesu genauso außerhalb der Gemeinschaft stand wie der Zöllner Zachäus, der mit den Römern zusammenarbeitete und deshalb verachtet wurde. Da sind die vielen Kranken, die als von Gott gestraft angesehen wurden, oder die Dirnen oder die Ausländer, die als unrein galten. Da ist der verlorene Sohn, der vom Vater ohne Wenn und Aber aufgenommen wird. Jesus hat keinen abgewiesen, sein Bestreben war es, Menschen in die Gemeinschaft hereinzuholen, mit ihnen am Tisch zu sitzen und mit ihnen zu essen und zu trinken. Essen und Trinken, das ist ein starkes Symbol. Es geht hier nicht nur ums Sattwerden, um das Stillen des Hungers, es geht um Gemeinschaft, heute würde man auch sagen, es geht um Inklusion, um die Gemeinschaft von sehr verschiedenen Menschen.
Bevor Jesus im Johannesevangelium diesen Satz sagt, hat er gerade dafür gesorgt, dass die 5000 Menschen, die ihm gefolgt sind und die von ihm etwas erwarten, nicht enttäuscht werden. Seine Jünger fürchten schon, sie müssten jetzt körbeweise Brot kaufen, um die Anhängerschar satt zu kriegen. Woher das Geld dafür nehmen? Wie sollen wir das alles bezahlen? fragen sie. Aber Jesus macht an einem kleinen Kind in der Menschenmenge, das etwas zu essen dabei hat, deutlich, was es heißt, wenn jeder die mitgebrachten Brote und Fische teilt. Ein Wunder geschieht, alle werden satt, keiner wird abgewiesen. Eine große teilende Gemeinschaft entsteht.
Und anschließend belehrt Jesus seine Jünger und damit natürlich auch uns, dass es dabei nicht nur um das Sattwerden des Bauches geht, sondern auch um das Sattwerden der Seele.
Das Brot, das Menschen zusammenhält und das sie Gemeinschaft, Zufriedenheit und Erfüllung spüren lässt und ist nicht nur das Brot, das unseren leiblichen Hunger stillt. Auch das ist wichtig, damit Menschen keinen Hunger leiden. Aber der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein. Jesus selbst will in einem umfassenden, ganzheitlichen Sinne Brot sein, das das Leben lebenswert macht, weil sich Menschen durch ihn angenommen und geliebt fühlen, weil sie wissen, ich gehöre dazu und bin nicht abgeschrieben, weil sie spüren, ich bin nicht allein in einer kalten Welt ohne Sinn, sondern ich bin geliebt, ich bin geachtet, ich bin etwas wert.
„Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, der wird nie mehr Durst haben. Ich weise niemanden ab, der zu mir kommt!“
Bevor Jesus starb, hat er diese Botschaft noch einmal so in Szene gesetzt, dass sie ihn überdauert und bis heute unter uns lebendig ist. Er hat ein letztes Mal mit denen, die ihm gefolgt sind, Brot gegessen und Wein getrunken und seinen Jüngern und uns in dieser Nachfolge aufgetragen, dies immer wieder zu tun, um immer wieder daran zu erinnern, dass es letztlich im Sinne Jesu immer darum geht, Menschen in die Gemeinschaft zu bringen, in die Gemeinschaft untereinander, in die Gemeinschaft mit ihm selbst und damit in die Gemeinschaft mit Gott, der das Leben ist.
Die Jahreslosung will uns ab heute ein Jahr lang an all dies erinnern. Das Jesuswort lässt und fragen und genau hinschauen, wo in unserer Zeit Menschen abgewiesen, ausgegrenzt werden und wo wir, wie die Jünger, zuerst fragen, wie wir denn das alles bezahlen sollen und ob dieses Hineinholen in eine Gemeinschaft nicht völlig unrealistisch und nicht durchführbar ist. Jeder und jede von uns wird diesbezüglich die eigenen Beispiele finden. Unsere Aufgabe als Kirche ist es dabei nicht, große politische Programme zu entwerfen oder uns vor den Karren einer politischen Partei spannen zu lassen, unsere Aufgabe ist es, im Namen Jesu und im Geiste Jesu Gemeinschaft zu leben und zu ermöglichen und sie so offen zu gestalten, dass Menschen, egal wer sie sind und woher sie kommen, sich eingeladen fühlen und sich wertgeschätzt und geliebt fühlen. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“.
Amen
Dekan Hermann Köhler, Dez. 2021
Grafik: Verlag am Birnbach; Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen