Gedanken zur Jahreslosung von Dekan Hermann Köhler
Liebe Leserinnen und Leser,
kurz vor Weihnachten wurde im großen deutschen Nachrichtenmagazin der Spiegel ein Medienskandal aufgedeckt. Ein junger aufstrebender Journalist, der in den vergangenen Jahren sämtliche Journalistenpreise abgeräumt hat, wurde der Manipulation und der Fälschung überführt. Auf seiner Jagd nach den besten Stories in den Krisenregionen dieser Welt hat er weit über das Ziel hinausgeschossen. Seine Artikel, die regelmäßig im Spiegel und in großen Tageszeitungen veröffentlich wurden, sind weitgehend gefälscht. Interviews, die nie stattgefunden haben, Berichte über Personen in Kriegs- und Konfliktregionen, die es nie gab.
Da ist sie wieder, die Jagd auf die besten Fotos, die aktuellsten Berichte, möglichst per Livestream und mittendrin, wo es knallt und zischt, wo Spektakuläres, Katastrophen und Krisen möglichst ohne Zeitverzögerung in die deutschen Wohnzimmer transportiert werden.
Der Fernsehsender Al-Dschasira kam vor einiger Zeit auf die Idee, das Vorrücken der irakischen Armee auf die vom IS besetzte Stadt live auf Facebook zu übertragen. Zwischen dem lustigen Katzenvideo und dem Geburtstagsgruß für Onkel Jürgen flogen neben Mörser- und Artilleriegeschossen auch unzählige Däumchen und Herzchen in Richtung der belagerten Millionen-Metropole. Bei so ziemlich allen größeren Medien bin ich, wenn ich will, gefühlt mittendrin.
Der amerikanische Fernsehsender CNN zeigt wie eine irakische Einheit auf einer kargen, baumlosen Landschaft vorrückt. Plötzlich taucht ein IS-Kämpfer aus einem Erdloch auf und schießt. Die Soldaten erwidern das Feuer. Nach wenigen Sekunden ist ein Feuerball zu sehen. Der IS-Kämpfer hat sich in die Luft gesprengt. Man kann sehen, wie seine Körperteile durch die Luft fliegen. Der Zuschauer ist ganz nahe dran am Geschehen. Er ist dabei, live und in Echtzeit.
Auch in diesem Jahr wurde der begehrteste Fotojournalismuspreis der Welt, der World Press Photo Award, vergeben. Die Wahl fiel auf das Foto eines Fotografen aus Venezuela während der Straßenschlachten in Caracas, das einen Demonstranten zeigt, der durch eine Explosion am ganzen Körper Feuer gefangen hat. Bei der Preisverleihung wurden erstmals kritische Stimmen laut, dass die Gewinnerfotos seit 1955 nahezu unverändert Motive von Krisen, Kriegen und Katastrophen zeigen. Gefragt wurde: Warum gibt es unzählige Bildbände mit Kriegsphotographien- jedoch keinen mit Bildern über den Frieden?
Suchet den Frieden und jaget ihm nach!heißt das biblische Motto für das Jahr 2019.
Wie wäre es, wenn Journalisten und Pressefotographen sich diese Aufforderung zu Herzen nähmen: Die Jagd nach den besten Stories, nach den besten Bildern über den Frieden? Und was würden wir, die Zuschauerinnen und Zuschauer, die Leserinnen und Leser davon halten? Fänden wir es langweilig, würden wir weiterzappen im Programm? Was ist es, das uns an der Darstellung von Gewalt so reizt?
Suchet Frieden und jaget ihm nach !
Ein Jäger hält Ausschau, legt sich auf die Lauer, wartet auf den geeigneten Augenblick, Seine gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf das begehrte Ziel. Jede Ablenkung kann den Erfolg zerstören. Jagen ist absolute Konzentration und Wille, das Ziel zu erreichen. So steht es in einer Fachzeitschrift fürs Jagen.
Wenn wir eine Umfrage machen würden, dann käme ganz sicher heraus, dass sich jeder Mensch im Grunde schon nach Frieden sehnt. Von Krieg verschont zu bleiben, nicht unter Gewalt leben zu müssen, mit den Nachbarn auskommen, die Meinung frei äußern dürfen, nicht in der Familie zerstritten sein, das alles ist ein großes kostbares Geschenk, vielleicht das Kostbarste, was ein Menschenleben bieten kann.
Ja, Frieden tut gut, Frieden wünschen wir uns. Und doch fällt mir auf, dass ich oft nach dem Andern Ausschau halte: Nach Gelegenheiten, bei denen der andere Fehler macht. Ich suche nach Punkten, wo der andere Unrecht hat. Ich stürze mich darauf, anstatt auf den Frieden. Ich breche einen Streit vom Zaun, weil ich nicht nachgeben möchte. Beim Überholmanöver auf der Autobahn erwische ich mich dabei, nochmal richtig Gas zu geben statt abzubremsen, damit der andere schneller vorbei kommt. Und irgendwie hat die Gewalt, die ich in meinem gewohnten Krimi sehe, auch etwas Faszinierendes.
Pro Jahr senden allein die öffentlich rechtlichen Fernsehsender in Deutschland über 5000 Krimis mit oft sehr brutalen Inhalten über ihre Kanäle. Das sind ca. 13 Sendungen mit Gewaltdarstellungen pro Tag. Und Medien senden bekanntlich nur das, was dem Zuschauer gefällt und was Quote bringt.
Suchet den Frieden und jage ihm nach!
Der Satz kommt in der Bibel zweimal vor, einmal im Alten Testament in Psalm 34 und einmal im Neuen Testament im 1. Petrusbrief.
Interessant ist, dass in beiden Stellen dieser Aufruf mit der Aussicht verknüpft ist, dass es dadurch dem Menschen gut gehen soll und er gute Tage sehen soll. Suche Frieden und jage ihm nach ist ein heilsamer Ratschlag, dessen Beherzigung ein gutes Leben verheißt. Aber wie passt das in unser krisen- und konfliktorientiertes Leben, wie passt das in unsere Wirklichkeit?
Der Frieden, den die Bibel als das erstrebenswerte Ziel für ein gutes Leben nennt, dem man nachjagen soll, ist ein Fremdkörper in dieser Welt.
Fremd weil ihn diese Welt mit ihrer Faszination von der Gewalt und dem Schrecken meist erst dann wirklich erstrebt, wenn eine kriegerische Katastrophe ihren Höhepunkt erreicht hat und es keinen Sinn mehr macht, weiter zu kämpfen, weil es überall nur noch Zerstörung gibt. Das lehren die Weltkriege des 20. Jahrhunderts und auch die gegenwärtigen Kriege in Syrien und im Jemen. Mit dem Satz, dass es Wichtigeres gibt als den Frieden, hatte Mitte der 80iger Jahre ein amerikanischer Außenminister die damalige Friedensbewegung provoziert. Alle großen Herrscher der Weltpolitik von Busch bis Putin haben seitdem nach dieser Devise operiert und Kriege vom Zaun gebrochen, wenn es ihren Interessen diente.
Den Frieden suchen, ja, aber immer erst dann, wenn das Kämpfen aussichtslos wird, weil alles in Schutt und Asche liegt, im Irak, in Afghanistan, im Jemen, in Syrien.
Wir kennen das auch aus persönlichen Konflikten. Da wird ein Streit zwischen Familien oder innerhalb einer Familie erst dann beendet, wenn die Hauptkontrahenten nicht mehr leben, wenn im wahrsten Sinne des Wortes Gras über die Sache gewachsen ist. Oder wie jüngst hier in unserer Region, wenn ein Gericht ein saftiges Strafmaß verhängt, nachdem der Streit so eskaliert war, dass man nicht nur mit Fäusten sondern auch noch mit dem Auto als Waffe aufeinander losging.
Frieden darf nicht erst die letzte Möglichkeit sein, weil alle vorherigen kriegerischen Möglichkeiten gescheitert sind. Frieden muss in allen Bereichen die allererste Option sein, das meint die Aufforderung : Suchet Frieden und jaget ihm nach.
Ist das nun utopisch, unrealistisch ?
Wir kommen von Weihnachten her, und die Botschaft von Weihnachten ist doch: Frieden ist möglich! Frieden ist die allererste Option, die Empfehlung Gottes für ein gutes Leben. Das verkörpert das Kind in der Krippe. Darum verkünden die Engel: Friede auf Erden. Die Botschaft von Weihnachten ist die Botschaft vom Frieden, der ergriffen werden will. Und diese Idee vom Frieden ist seit 2000 Jahren keine bloße Idee, keine philosophische Möglichkeit und keine bloße Utopie. Die Idee vom Frieden als allererste Option hat ihren konkreten Anhaltspunkt in dem Leben und Sterben Jesu Christi. Er ist unser Friede, sagt Paulus, das meint, an ihm und durch ihn lernen wir, was es heißt, zu vergeben, den Feind zu lieben, Trennendes zu überwinden. Selig sind die Friedensstifter, denn sie sollen Gottes Kinder heißen, sagt Jesus selbst und ermutigt uns damit zur Nachfolge.
Was würde es konkret für unser Leben bedeuten, wenn wir die biblische Empfehlung für ein gutes Leben beherzigten: Ganz konsequent dem Frieden nachzujagen, in unserem persönlichen Bereich, beim Überholmanöver auf der Autobahn, im Streitgespräch in der Familie, bei der Diskussion über Flüchtlinge am Stammtisch. Oder ganz konsequent auf staatlicher Ebene dem Frieden nachzujagen, keine Rüstungsexporte mehr, die Bundeswehr wirklich nur im eigenen Land zur Verteidigung einsetzen, noch viel konsequenter die Staaten unterstützen, aus denen Menschen fliehen. Durch das Erscheinen Jesu in dieser Welt wird der Friede ein Segen, der den Menschen zuteilwerden soll, die sich ihm öffnen. Dabei bezieht sich der Segen des Friedens immer auf den einzelnen Menschen. Zum Friedensstifter wird immer der einzelne Mensch, der fähig wird, mit sich selbst Frieden zu machen um mit andern in Frieden zu leben. Von dem einzelnen Menschen geht die Jagd nach dem Frieden aus. Die Nacht von Bethlehem ist nicht geschehen, um einigen Leuten für zwei Tage im Jahr eine innere Erbauung zu schenken.
Weihnachten bedeutet, Gott mischt sich ein in unsere menschlichen Angelegenheiten, in unsere Jagd nach den falschen Zielen, die uns kein gutes Leben bringen sondern Krieg und Verderben.
Ein Jäger hält Ausschau, legt sich auf die Lauer, wartet auf den geeigneten Augenblick, Seine gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf das begehrte Ziel. Jede Ablenkung kann den Erfolg zerstören. Jagen ist absolute Konzentration und Wille, das Ziel zu erreichen.
Suchet Frieden und jage ihm nach !
Das ist die ganz konkrete Aufforderung für alle, die nach guten Vorsätzen für dieses Jahr suchen. Möge sie unser Herz erreichen.